Atemleistung im Alpinsport
Text: Robert Kriz
„Wer schneller geht als ein Ochse, ist ein Ochse.“
Dieses Sprichwort aus der Trekking- und Expeditionsmedizin spricht einige leistungsbestimmende Bedingungen in der Hochalpinistik an.
In erster Linie entspricht der Atembedarf dem aktuellen Bedarf des Körpers an Sauerstoff. Wer sich schneller oder mit mehr Kraft bewegen will, muss seinem Körper mittelfristig mehr Sauerstoff zur Verfügung stellen.
In der Alpinistik tritt diese Grundbedingung gleichzeitig mit dem abnehmenden Sauerstoffgehalt der Umgebungsluft mit zunehmender Seehöhe auf. Wer sich in Höhenlage schneller bewegen will, muss zwangsläufig deutlich mehr atmen. Durch den verminderten Partialdruck in der Höhe bei gleichzeitig bestehendem Sauerstoffmangel wird nicht nur die körperliche Leistungsfähigkeit limitiert, es verschlechtern sich auch die motorischen Fertigkeiten und die Balance. Die Abnahme der kognitiven Fähigkeiten reduzieren Handlungs- und Kritikfähigkeit gleichermaßen. Die Inzidenz von Höhenödemen in Hirn und Lunge ist vermehrt, zudem treten Erfrierungen leichter und schneller auf.
Wer somit unter sauerstoffarmen Bedingungen laufen möchte wie ein Windhund, tut gut daran, auch wie ein solcher zu atmen. Aber wie „mehr atmen“, ohne über die Atemarbeit wieder unphysiologisch mehr Sauerstoff zu verbrauchen und „außer Atem“ zu kommen?
Die Physiotherapeuten Robert Kriz und Florian Pichler haben über die letzten Jahre der Steuerung der Körperfunktionen durch Atemlenkung ihre ganze Aufmerksamkeit geschenkt. Aus physiotherapeutischer Sicht interessieren sie sich vor allem für die mechanischen und biochemischen Veränderungen, die direkt mit der Atmung verknüpft sind. Das können Veränderung der Spannungsverteilung und der Druckverteilung im Brustkorb und Bauchraum sein, aber auch im Bereich der Atemhilfsmuskulatur am Schultergürtel und Rumpf.
Machen Sie den Selbsttest
So erkennen Sie, ob Sie eine Atemmuster-Fehlfunktion oder einen Verbesserungsbedarf haben:
Wenn Sie bewusst tief durchatmen, spüren Sie Verspannungen oder Schmerzen im Bereich des Brustkorbs, der Rippen, im Rücken oder Nacken? Oder vielleicht Verkrampfungen im Bauch oder am Hals? Haben Sie Beklemmungsgefühle? Dann wird es Zeit, das Potenzial der eigenen Atemräume besser zu nutzen, Platz zu schaffen im Bauchraum und Brustraum, Steifigkeiten und Beschränkungen in der Beweglichkeit des Brustkorbes und der Wirbelsäule zu verringern.
Führen Sie eine der folgenden Übungen über zwei Minuten ohne Pause durch, wahlweise: Kniebeugen,
Kniehebelauf auf der Stelle oder Liegestütze. Beobachten Sie, wie lange es dauert, bis Sie einen erhöhten Atembedarf registrieren, der nicht durch die Vertiefungen der Atmung (mehr Atemvolumen), sondern mit einer schnelleren Atemfrequenz beantwortet werden muss. Wie schnell dieser Zeitpunkt (Erhöhung der Atemfrequenz) auftritt, zeigt, wie lange Sie mit der Atemtiefe kompensieren können. Sobald Sie die Frequenz ebenfalls nicht mehr anstrengungsfrei erhöhen können, erzeugen Sie mehr Atembedarf als Sie funktionell noch atmen können. Sie kommen außer Atem.
In Kursen für Fachpublikum, in Gruppen oder im Einzelsetting, werden Untersuchungs- und Trainingsmaßnahmen besprochen und erarbeitet. Dafür wurde von den beiden Physiotherapeuten ein Atemmusterfunktionsscore (AMS, nicht zu verwechseln mit der Acute Mountain Sickness) entwickelt. Mit diesem werden die leistungsbestimmenden Parameter Atemtiefe, Nutzung der Atemräume, Atemruhefrequenz, Verhältnis Einatmung und Ausatmung, die funktionelle maximale Atemfrequenz sowie die Toleranz gegenüber Atempause bestimmt. Daraus wird ein individuell zielorientiertes Atemmuster während der sportlichen Aktivität erstellt.
Großes Augenmerk gilt hier der Optimierung der Atemraumnutzung und der Synchronisation von Atmung und Bewegung. Viel atmen zu können bedeutet hier vor allem, den Fokus auf die maximale Einatmung bei genügender Ausatmung zu legen. Das Verhältnis kann durchaus bis 3:1 verschoben werden. Die Steigerung der Atemfrequenz ist erst der zweite Schritt – ebenfalls unter der Voraussetzung einer aeroben Tätigkeit der Atemhilfsmuskulatur. Zu berücksichtigen ist dabei, dass diese Muskeln im Schultergürtel und Rumpf bei sportlicher Aktivität verstärkt im Einsatz sind.
Atemmusterfunktionsstörungen sind weit verbreitet und betreffen etwa ein Drittel aller Menschen, auch wenn dies unter normalen Bedingungen nicht auffällt. Unter erhöhtem Leistungsbedarf oder reduziertem Sauerstoffpartialdruck können sie plötzlich relevant werden.
Robert Kriz
freiberuflicher Physiotherapeut